Mayıs 10

Hamed Abdel-Samad – Mohammed ließ die Lästerer töten


Darauf berufen sich bis heute viele Islamgelehrte. Reformer leben gefährlich.

Wer sagt, der Anschlag von Paris habe nichts mit dem Islam zu tun, tut Muslimen keinen Gefallen. Denn es gibt authentische Elemente des Islams, die Hass und Gewalt legitimieren. Bis jetzt sind wir dem Problem ausgewichen. Mal wurde die aggressive Politik des Westens für den islamistischen Terror verantwortlich gemacht, mal das soziale Elend oder die Diskriminierung junger Muslime. Doch dies waren nur Brandbeschleuniger. Das ursprüngliche Feuer ist ein politischer Anspruch, der im Koran, in der Biografie des Propheten und bis heute in fast allen islamischen Rechtsschulen präsent ist: Die Beleidigung des Propheten sollte mit dem Tode bestraft werden.

Charlie Hebdo und zuvor Theo van Gogh waren nicht die ersten Opfer dieser Gewalttheologie in der Gegenwart. Viele Muslime bekamen sie am eigenen Leibe zu spüren, etwa der Sudanese Mahmud Taha (1985 wegen eines Flugblattes gegen die Scharia gehenkt) oder der Ägypter Faradsch Fauda (1992 wegen Scharia-Kritik und Satire erschossen). Vor allem in Saudi-Arabien und im Iran wurden in den letzten Jahren zahlreiche “Blasphemiker” und “Apostaten” hingerichtet. In anderen islamischen Staaten müssen Islamkritiker mit harten Haftstrafen rechnen.

Was sagt der Koran dazu? Es gibt zwar keine Stelle, die explizit die Todesstrafe für Blasphemie vorsieht, aber die Biografie Mohammeds wimmelt von Erzählungen über Menschen, die auf seinen Befehl hingerichtet wurden, weil sie ihn beleidigt hatten. Die Überlieferung zählt 40 Opfer, darunter Al-Nadr ibn al-Harith, ein Intellektueller zur Zeit des Propheten. Er stellte Mohammed vor den versammelten Mekkanern drei Fragen: Wer sind die Schläfer von Ephesus? Wer ist der Mann mit den zwei Hörnern? Und was ist die Seele? Mohammed wusste es nicht, erst Wochen später kam er mit diffusen Koranversen, die etwa besagten: “Die Seele entsteht auf den Befehl meines Herrn; euch ist vom Wissen nur wenig gegeben.” Ibn al-Harith lachte und nannte den Koran einen “Abklatsch alter Mythen”. Das sollte sich rächen: Als Mohammed Feldherr in Medina war, fielen ihm 70 Kriegsgefangene aus Mekka in die Hände, darunter Ibn al-Harith. Alle kamen gegen Lösegeld frei, nur Ibn al-Harith und ein Freund wurden auf Mohammeds Befehl enthauptet.

Ähnliches lesen wir in der Hadith-Sammlung von Abu Dawud: “Der Prophet entdeckte vor seiner Moschee eine getötete Frau. Er fragte die Betenden, wer sie umgebracht habe. Ein Blinder erhob sich und sagte: ‘Ich. Sie ist meine Sklavin, und ich habe von ihr zwei Kinder, Perlen gleich. Doch gestern hat sie dich, Prophet Gottes, beleidigt. Ich forderte sie auf, dich nicht mehr zu beschimpfen, aber sie wiederholte das Gesagte. Ich konnte das nicht aushalten und habe sie umgebracht.’ Mohammed entgegnete: ‘Das Blut dieser Frau ist zu Recht geflossen!’ ” Erschreckend an der Geschichte ist nicht nur die Grausamkeit gegen die Frau, sondern auch die Privatisierung der Gewalt. Todesurteile zu verhängen ist kein herrscherliches Privileg, sondern jeder Muslim ist dazu befugt.

Als ich im Juni 2014 einen Vortrag in Kairo hielt und behauptete, der islamische Faschismus begann bereits mit Mohammed, rief ein Professor der Al-Azhar-Universität zu meiner Tötung auf und zitierte die Geschichte von der Sklavin als Beleg. Man darf nicht vergessen: Die Biografie Mohammeds wurde etwa 200 Jahre nach seinem Tod verschriftlicht, in einer Zeit starker innerislamischer Konflikte. Jeder muslimische Herrscher sah sich als Nachfolger des Propheten. Damals tauchten Hadithen auf, die dazu aufforderten, auch ungerechte Befehle zu befolgen. Widersetzliche Muslime galten als Blasphemiker und wurden hingerichtet.

Ähnlich war es mit den Apostaten. Kurz nach dem Tod Mohammeds fielen einige arabische Stämme vom Islam ab und verweigerten dem Kalifen Abu Bakr die Steuern. Daraufhin trat ein Gesetz zur Tötung von Apostaten in Kraft. Es sollte die junge, labile Gemeinschaft zusammenhalten. Später, in Zeiten der Stärke – zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert in Bagdad und Córdoba – spielten diese Gesetze kaum eine Rolle, Häresie wurde sogar Mode unter Dichtern. Doch seit den Kreuzzügen ist ihre strenge Ahndung breiter theologischer Konsens. Der Vater des modernen Salafismus, Ibn Taimijja, schrieb im Mittelalter ein ganzes Buch Das gezogene Schwert gegen die Beleidiger des Propheten, darin sammelte er über 250 Belege für die Höchststrafe und betonte, auch reuige “Täter” seien hinzurichten.

Bis heute glauben viele Muslime, die Beleidigung des Propheten müsse bestraft werden – nur über die Art der Strafe sind sie uneins. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo war Schadenfreude aus den arabischen Medien zu vernehmen. Und in Saudi-Arabien wurde nur wenige Stunden später der Blogger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht, weitere 950 Hiebe und zehn Jahre Haft warten auf ihn wegen einer Mohammed-kritischen Twitter-Nachricht.

Die Biografie des Propheten bleibt also Bestandteil von Moral und Gesetz im Islam. Wollen Muslime ihre Religion frei leben, müssen sie die alten Texte relativieren. Dies tun bereits viele im Privaten. Doch die führenden Geistlichen wehren sich gegen Reformen, und so kämpfen einzelne Reformer bislang vergeblich gegen den Fels der Orthodoxie.

Hamed Abdel-Samad, 42, ist Politologe. Der Sohn eines Imams war Muslimbruder, aber sagte sich los. Zuletzt schrieb er “Der islamische Faschismus”.